Mediale Exekution von Thilo Sarrazin?

(Öffentlicher Brief an die Beckmann-Redaktion)

Sehr geehrte Beckmann-Redaktion,

morgen, am Montag den 30. August 2010 um 22:45 Uhr findet die Sendung „Beckmann“ statt, in der sich Thilo Sarrazin „nach der Empörungswelle der letzten Tage erstmals ausführlich in einer Talksendung der Diskussion mit seinen Kritikern“ stellen wird.

Richard Wagner formuliert in seinem Beitrag „Sarrazin und das Kartell“ sehr treffend:

Der Streit um den Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin und sein aktuelles Buch, das er morgen, am Montag, der Öffentlichkeit präsentieren will, geht bereits in die nächste Runde. Eine gewaltige Gegnerschaft baut sich auf, eine Gegnerschaft, man muss es so sagen, aus dem herrschenden Kartell der politischen Klasse und der ihr zugeordneten diversen Medien, kurzum, die Liste des jährlichen Presseballs.

Es werden in mir Erinnerungen an die Sendung mit Johannes B. Kerner und Eva Herman im Oktober 2007 wach, die von Welt-Online nachvollziehbarer Weise als öffentliche Hinrichtung bezeichnet wurde. Und wenn ich mir neben Thilo Sarrazin die Liste der Kritiker ansehe, so habe ich den Eindruck, dass sich morgen etwas Vergleichbares abspielen wird, völlig unabhängig davon, ob dies von Ihnen bewusst gewollt ist oder ob Sie es zu vermeiden versuchen:

  • Aygül Özkan (Sozial- und Integrationsministerin von Niedersachsen, CDU): Aygül Özkan ist die erste muslimische Landesministerin und gilt laut Ihrer Webseite „als Symbol für ein verändertes Deutschland„. Gleichzeitig vertritt sie die Interessen der türkischen Gemeinde in Deutschland, die mit ihrem Chef Kenan Kolat ganz klar „die Absetzung von Thilo Sarrazin als Bundesbank-Vorstand“ fordern. Damit erschweren sofort auch internationale Verwicklungen mit der Türkei einen innerdeutschen Dialog, der so bitter notwendig ist.
  • Renate Künast (Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen): „Im Bundestag wollen die Grünen ein Verfahren vorschlagen, bei dem zunächst die Bundesbank und dann die Bundesregierung eine Abberufung vorschlägt und der Bundespräsident sie dann vornimmt.“ Renate Künast wird aus parteipolitischen Erwägungen und aus dem aufrichtigen Versuch heraus, Schaden von Deutschland abzuwenden, alles tun, um Sarrazin von der Politik- und Medienbühne verschwinden zu lassen.
  • Ranga Yogeshwar (Wissenschaftsjournalist und Fernsehmoderator): Für einen Wissenschaftler vom Rang Yogeshwars dürfte es nicht schwierig sein, das dünne wissenschaftliche Eis, auf dem Sarrazins Thesen aufgebaut sind, zum Brechen zu bringen. Persönlich betreffen ihn die Thesen Sarrazins auch, weil er 1993 in Prag von Rechtsradikalen tätlich angegriffen wurde, und diese Erfahrung sicherlich mit in die Waagschale gegen Sarrazin werfen wird.
  • Thomas Sonnenburg (Sozialpädagoge und Streetworker): Kaum einer kennt wohl die Ängste und Nöte der jungen Generation, die kein Zuhause hat, so gut wie Thomas Sonnenburg. Das macht ihn was seine Empathiefähigkeit angeht, zum absoluten Gegenpol von Sarrazin, der auf Öffentlichkeitswirksamkeit und Pauschalisierung setzt, nicht auf Empathie und individuelle Auseinandersetzung mit den Einzelschicksalen.

Ich finde die Auswahl von Sarrazins Kritikern hervorragend, allerdings stimmt das quantitative Verhältnis nicht: Einer gegen vier, da kann Beckmann, selbst wenn er wollte, einen Eklat nicht verhindern, bei dem Sarrazin am Ende nicht inhaltlich, sondern als Person als Verlierer dastehen würde.

Deswegen meine verrückte Bitte: Lassen sie mich als Sarrazins Kritiker und Verteidiger zugleich an dem Gespräch teilnehmen. Ich möchte nur meinen klitzekleinen Beitrag leisten, dass Meinungsfreiheit in diesem Land nicht eine Farce wird, und dass die Würde keines Menschen angetastet wird, weder die der Migranten, noch die Sarrazins. Zwei gegen Vier sind im Fall des Falles auf jeden Fall fairer als Einer gegen Vier.

Dieses Land braucht einen konstruktiven Dialog über das deutsche Erbe aus dem zweiten Weltkrieg so dringend, wie kaum etwas anderes. Seit 65 Jahren ist dies nicht möglich gewesen. Morgen besteht eine reelle Chance dazu. Lassen Sie diese Möglichkeit bitte nicht ungenutzt verstreichen. Deutschland mitsamt aller seiner wie-auch-immer-stämmigen Bürger, und die ganze Welt brauchen diesen Dialog.

Lassen Sie mich daher bitte meinen Teil dazu beitragen, dass Sarrazin nicht exekutiert wird.

Hochachtungsvoll,

Ihr Mitbürger Immanuel Scheerer

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3 Kommentare zu Mediale Exekution von Thilo Sarrazin?

  1. Naja, Du warst nicht dabei…ich hab die Sendung zufällig aber gesehen und muß sagen, sie war quasi wider Erwarten erstaunlich gut (in meinen Augen). Gemessen am bisherigen Standard der medialen Empörungsposse war sie eine Wohltat.

    Yoho, Pirat

  2. Immanuel sagt:

    Dann hältst du wohl Herrn Sarrazin für einen reinen Provokateur, oder?

  3. Pingback: Ein sehr schwarzer Tag | Sein und Nicht-Sein

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